Meinen ersten Kontakt mit Marlen Haushofer hatte ich im Jahr 2012, als ihr berühmtestes Werk „Die Wand“ im Kino erschien. Ich war sehr begeistert von dem Film, ohne die Bücher dieser bereits 1920 geborenen und bereits im Alter von 49 Jahren an Krebs verstorbenen österreichischen Schriftstellerin zu kennen. Die Romanvorlage lief mir dann zum Glück in diesem Sommer im Urlaub in der Gästebibliothek eines südfranzösischen Campingplatzes über den Weg – ich wollte das Buch immer schon lesen (meistens macht man das ja nach dem Konsum der Verfilmung nicht mehr) und oh – wie sehr habe ich die Lektüre genossen und so viele neue und andere Aspekte, als sie der Film zu vermitteln vermochte, in dem Roman dieser brillanten Autorin entdeckt. Die genauen und schonungslosen Beschreibung ihres Innenlebens sowie ihre exakten Beobachtungen der Außenwelt haben mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt und extrem neugierig gemacht auf Mehr.
Zuerst las ich die Novelle „Wir töten Stella“ – ein großartiges Buch, das in einem sehr verstörenden familiären Setting spielt – ganz ähnlich dem Buch, von dem ich hier berichten möchte. Anschließend versuchte ich mich an der „Tapetentür“. Die Lektüre dieses Buchs habe ich abgebrochen, aber ich habe mir fest vorgenommen, dem Titel noch eine Chance zu geben, mit etwas mehr Muse als bei der ersten Lektüre. Schließlich widmete ich mich mit Erfolg dem Buch „Die Mansarde“ und ich habe durchgehalten – auch wenn es zwischendurch nicht einfach war.
Marlen Haushofer erzählt in diesem 200 Seiten langen Buch (wie in fast allen ihren Werken) aus der Ich-Perspektive. Sie erzählt das Alltagsleben einer Frau von Sonntag bis Sonntag, gespickt mit Reflektionen in die Vergangenheit und Tagebucheinträgen, die sie einige Jahre früher verfasst hatte und verschollen glaubte, dann aber von einem mysteriösen Absender Tag für Tag per Post zugeschickt bekommt. Ich möchte nicht vorweg nehmen, was in dieser Zeit, von der die Tagebucheinträge berichten, geschah, aber der „Vorfall“ veränderte alles und brachte eine Zäsur in das Beziehungsgefüge der Familie, die neben der Protagonistin noch aus ihrem Mann Hubert, dem erwachsenen Sohn Ferdinand und der kleinen und für die Mutter wenig bedeutsamen Nachzügler-Tochter Ilse besteht. Haushofer analysiert aus der elegischen und fast schon fatalistischen Perspektive der Erzählerin die komplizierten und surreal anmutendenen Befindlichkeiten und Beziehungen der Familienmitglieder untereinander. Alle Familienmitglieder wirken einerseits überzeichnet in ihren Charaktereigenschaften, andererseits bleiben sie dem Leser aufgrund der extrem subjektiven Beschreibungen der Ich-Erzählerin doch sehr fremd und unnahbar.
Aus einer Anfangs glücklichen Beziehung mit Hubert, bei der zu Beginn jeder der beiden Partner seine Vorteile zog, entwickelte sich mit der Zeit eine Gemeinschaft, in der schließlich jeder emotional für sich bleibt und sich mit seinen eigenen Bedürfnissen, die vom anderen nicht erfüllt und befriedigt werden können, einrichtet. Dabei scheint die Protagonistin ihre eigenen Wünsche kaum mehr wahrzunehmen, sie ergibt sich der Situation, beobachtet sich und die anderen dabei aber ganz genau und schafft es, ihre Erkenntnisse und Schlussfolgerungen gnadenlos und ungefiltert zu beschreiben. Der unerhörte „Vorfall“, der die Familiengeschichte in ein „Davor“ und ein „Danach“ splittet, erschließt sich beim Lesen erst mit der Zeit, bleibt aber letztendlich doch so diffus und absurd, dass er als Platzhalter für jedes andere einschneidende Ereignis stehen könnte, das die vorbestehenden Risse in der Struktur dieser Familie endgültig zum Bersten bringt.
„Die Mansarde“ ist im Grunde genommen ein sehr leises Buch, dessen Wucht in den exakten Beobachtungen und verstörend offen geschilderten familiären Entfremdungen liegt. Besonders irritierend dabei ist – gerade wenn man selbst Mutter ist – die schonungslos beschriebene Distanz der Mutter zu ihren Kindern. Ich konnte mich bei der Lektüre schwer abgrenzen und fühlte mich von den Gedanken der Ich-Erzählerin unangenehm intensiv und gleichzeitig fasziniert durchdrungen. Ein besonderes Leseerlebnis, für das man etwas Ruhe und emotionale Offenheit mitbringen muss und das umso eindrücklicher ist, je mehr man sich die Zeit vergegenwärtigt, in der die Autorin gelebt und geschrieben hat.