Sitzblockade im Zug.

Foto: Al Fed

Die Deutsche Bahn bringt mich mal wieder in den Wahn.
Ich bin wieder Zug gefahren, gestern, zur Frankfurter Buchmesse.

Hinfahrt:
Der Zug ist pünktlich – oho! – welch Freude. Ich habe eine Reservierung, denn sonst wäre ich nicht gefahren. Stuttgart-Frankfurt zu Buchmesse-Zeiten per Bahn ist besser MIT Reservierung, das weiß ich inzwischen. Mit mehreren Mitfahrern schiebe ich mich durch Waggon 6 auf der Suche nach meinem Sitzplatz mit der Nummer 12 in einem Abteil. Ich bin kurz vor dem Ziel, da staut es sich. Leute, die in einem Abteil vor dem meinigen reserviert haben, finden dieses abgesperrt und vollgestellt mit einem Catering-Wagen und Müll vor.

Das Gejammer der Geschäftsmänner ist groß und auch meine Erleichterung, denn mein Abteil ist erst das nächste. Nachdem sich die um ihre Sitzplätze Betrogenen auf die Suche nach einem Verantwortlichen oder der 1. Klasse machen, finde ich mich vor meinem vollbesetzten Abteil wieder und beanspruche meinen Sitzplatz Nummer 12. Von den Anwesenden lasse ich mir erklären, dass am Fenster, auf zwei reservierten Plätzen zwei wenig reservierte Reisende säßen, die aufgrund mangelnder Reservierungsbeschriftung der Meinung sind, ihre Plätze nicht räumen zu müssen. Auf meinem Platz sitzt ein rechtmäßig reservierter Herr, der eigentlich einen Platz weiter sitzen sollte. Auf seinem Platz sitzt ein Mann, dessen Platz von seinem Sitznachbarn blockiert wird, der wiederum den Platz der sich im Recht sehenden Frau reserviert hat. „Jetzt machen die schon IM Zug ihre Sitzblockaden!“ entfährt es mir. Ein sehr eloquenter Herr, der sich – aufgrund der Blockade – ebenfalls seines Platzes beraubt sieht, macht seiner Empörung Luft und fordert einen sehr jungen Zugbegleiter auf, die Lage zu klären. Dieser verspricht, seine Chefin zur Lösung des Problems heranzuziehen. Wir sind alle echauffiert. Inwzischen macht der Herr, der auf meinem Platz sitzt, diesen freundlicherweise frei – obwohl er es auch verdient hätte, zu sitzen. Die beiden Herrschaften am Fenster fühlen sich immernoch im Recht. Sie seien durch den ganzen Zug gelaufen, um nicht-reservierte Plätze zu finden. Toll! Die vermeintliche Chefin kommt nicht, dafür ein anderer junger Angestellter der Bahn, der immerhin dafür sorgt, dass das Nachbarabteil leer geräumt wird. Die Demonstranten werden freundlich aufgefordert, in dieses umzuziehen. Die Dame regt sich auf und fragt, warum die neu hinzugekommenen Reservierer nicht dort drüben sitzen könnten. Der eloquente Herr – von dem wir später erfahren, dass er Rechtsanwalt und normalerweise friedfertiger Mediator sei – erläutert, dass es ihm keinesfalls ums Prinzip gehe, sondern in diesem Fall um den Einzelfall. Er wolle bitte SEINEN Platz, und ich kann ihn verstehen. Die Herrschaften ziehen also nach eindringlichen Worten des Zugbegleiters tatsächlich um und jeder sitzt auf seinem Platz. Die Ankunft in Frankfurt ist pünktlich.

Rückfahrt:
Nach einer wenig erquicklichen Buchmesse sitze ich mit einer Kollegin am Frankfurter Bahnhof im Café. Zehn Minuten vor der angekündigten Abfahrt unseres Zuges verlassen wir selbiges um über die Anzeigentafel zu erfahren: Unser ICE fällt aus, dafür gibt es einen Ersatz-IC, der allerdings 40 Minuten Verspätung hat. Super! Der freundliche Herr vom Informationsschalter rät uns, schnell zu Gleis 8 zu rennen und in den Zug zu springen, um dann in Mannheim umzusteigen. Wir haben große Hoffnung, dass wir in Mannheim einen schnelleren Anschluss finden. Im Bord-Restaurant finden wir zwei Sitzplätze und trinken ein Radler. Nach einer knappen Stunde sind wir in Mannheim. Dort erfahren wir, dass der nächste Zug, den wir hätten nehmen können, 110 Minuten Verspätung hat. Es bleibt uns die Wahl, in unseren ursprünglichen Ersatz-ICE aus Frankfurt einzusteigen oder in den nächsten regulären Zug nach Stuttgart, der etwas zeitgleich eintrifft. Der nächste reguläre Zug ist schneller da als der verspätete, also nehmen wir diesen. Kess und kühn wie wir sind, setzen wir uns mit unseren 2.-Klasse-Tickets in die 1. Klasse. Eine Schaffnerin rät uns beim Einsteigen, bei ihrer Chefin „sehr lieb“ zu fragen, ob das o.k. ist. Es kommt aber 10 Minuten vor Ankunft in Stuttgart keine aufgeschlossene Chefin zur Fahrkartenkontrolle, sondern  ein forscher junger Bahnangestellter. Wir sind so lieb, wie wir können, und er erlaubt uns schließlich mit grimmiger Mine AUSNAHMSWEISE, dort zu sitzen. Ich frage mich, welche Konsequenzen wir zu tragen gehabt hätten, wenn er gestern nicht so unglaublich großzügig und gutmütig drauf gewesen wäre…

Und vielleicht hätten wir doch bei den Erdnüssen zugreifen sollen, die in der 1. Klasse kostenlos gereicht werden.

Autor: Wortdealer

Mein Blog.

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