Gerade habe ich „Die Stadt der Blinden“ von José Saramago gelesen.
Das Buch ist bereits 1995 auf Portugiesisch erschienen und 1997 zum ersten Mal auf Deutsch. Eine Freundin hat es mir geliehen und ich habe es verschlungen!
Auf der Welt bricht eine Epidemie der Blindheit aus. Nach und nach erblinden alle Menschen aus heiterem Himmel. Sie werden vom sog. „weißen Übel“ ereilt, da die Blinden nicht in Dunkelheit sondern in einem grellen „Weiß“ versinken.
Zu Anfang versucht die Regierung dem Ganzen Herr zu werden, indem die Blinden interniert werden. Die Protagonisten sind ein Augenarzt und seine (sehende!) Frau, die sich aus Liebe zu ihrem Mann als Blinde ausgibt. Unter menschenverachtenden Bedingungen verleben die beiden ein paar Tage (oder Wochen?) in einem ehemaligen Sanatorium. Was zu Beginn mit einer kleinen Truppe zivilisierter Blinder beginnt, endet in einem düsteren und verzweifelten Kampf um Leben und Tod. Aufgrund der furchtbaren Bedingungen – Hunger, Dreck, ständige Bedrohung durch die bewaffneten Soldaten, Scham, Desorientiertheit – bricht bald unter den Verzweifelten ein unbarmherziger Krieg aus. Ein Teil der Gruppe verbarrikadiert sich in einem der Schlafräume, ist, mit einer Waffe ausgerüstet, nur auf den eigenen Vorteil bedacht und unterdrückt die anderen. Zuerst nehmen sie den Leuten ihre Wertsachen ab, als Bezahlung für das Essen. Kurze Zeit später vergewaltigen Sie systematisch die Frauen. Erst als es nicht mehr auszuhalten ist, nutzt die sehende Frau des Augenarztes ihren Vorteil und schlägt zurück….
Das Ganze mündet darin, dass das Sanatorium befreit wird, als schon lange keine Lebensmittel mehr geliefert wurden. Von wem auch, alle Soldaten, ja, die ganze Welt, ist inzwischen ebenfalls erblindet. Die Menschen die heraus kommen sind entkräftet und am Ende.
Die Gruppe um die sehende Frau (keiner weiß, warum nur sie nicht erblindet) schlägt sich in die Stadt durch, immer auf der Suche nach etwas zu essen. Sie finden schließlich Unterschlupf in der überraschend noch verschlossen und nicht geplünderten Wohnung des Arztes und seiner Frau. Die anderen Blinden, ganz auf sich und ihren Tastsinn gestellt, vagabundieren durch die Straßen, Tote liegen herum, die Tiere fallen über die Leichen her, es herrscht eine desolate Endzeitstimmung. Alle Supermärkte sind geplündert, die Zivilisation funktioniert nicht mehr, Straßen, Plätze und Wohungen sind verdreckt von Fäkalien und Müll. Es gibt keine Regierung mehr, keine Organisation, nichts. Alles strebt dem Ende zu…
Neben der apokalyptischen Beschreibung der Vorkommnisse, die einem immer wieder aufzeigt, wie abhängig wir einerseits von unserem Augenlicht, andererseits von der „Zivilisation“ sind, werden wie nebenbei die Charaktere eindrücklich beschrieben und es gibt sogar eine kleine Liebesgeschichte, die allerdings absolut im Kontext der anderen Geschehnisse steht und überhaupt nicht deplatziert wirkt.
Saramago hat einen Schreibstil, der mich absolut gefesselt hat. Er erzählt aus der Sicht einer Person, die die ganze Zeit dabei war, aber diese Person tritt nie in Aktion, sie beobachtet und berichtet nur, auf faszinierende Weise gleichzeitig objektiv und subjektiv. Diese Lektüre verspricht philosphische Denkanstöße, apokalpytische Visionen, tiefenpsychologische Einblicke in das Wesen des Menschen und absolute Hochspannung! Eine Kombination, die man sicher nicht so häufig antrifft….