Foto: Al Fed
… das reimt sich furchtbar schlecht, aber eigentlich hätte es die Bahn noch schlechter verdient!
Ich fahre etwa 3 Mal im Jahr Zug – wenn überhaupt. Aber IMMER, wenn ich fahre, habe ich Verspätung. So auch diesmal: Mein alljährlichen Adventsbesuch in München stand auf dem Programm. Der Zug sollte um 15:59 abfahren und um 18:15 ankommen. Für 20 Uhr hatten wir Theaterkarten in den Kammerspielen: „Maß für Maß“ von William Shakespeare in einer sehr modernen Inszenierung wurde gegeben.
Mehr als rechtzeitig erreichte ich per S-Bahn den Stuttgarter Hbf, wo ich sogleich die Abfahrtstafel studierte. Am Gleis stand noch kein Zug und aufgrund meiner einschlägigen Erfahrungen war ich natürlich alles andere als überrascht, als ich den Hinweis „Zug verspätet sich voraussichtlich um 35 Minuten“ auf der Anzeige las. Super! Das war ja klar. Die erste von mehreren SMS mit korrigierter Ankunftszeit setzte ich gleich mal ab … Noch war ich einigermaßen gelassen, was auch daran lag, dass ich erfreulicherweise zum ersten Mal in meinem Leben ein 1.-Klasse-Ticket besaß, weil dieses im Sparpreis günstiger war als das 2.-Klasse-Normal-Ticket (2.-Klasse-Spar gab es nicht mehr). Dieses 1.-Klasse-Privileg erlaubte mir immerhin einen komfortablen Aufenthalt in der DB-Lounge – in Stuttgart ein nüchtern gehaltener Raum mit kleinen roten Ledersesselchen, Café- und Kaltgetränke-Bar, sowie einem ausgewählten Zeitungsangebot. Dort ließ ich mich also nieder, vertiefte mich in meine Lektüre und fror wenigstens nicht.
Kurz vor 35-Minuten nach geplanter Abfahrt machte ich mich wieder auf den Weg um herauszufinden, ob es wohl bei den 35 Verspätungsminuten geblieben war oder nicht (ich war auf alles vorbereitet!). Aber – oh Wunder! – am Gleis stand schon mein Zug bereit. Die Waggons der 1. Wagenklasse warteten gleich vorne am Kopf des Kopfbahnhofes auf stolze Upper-Class-Fahrgäste wie mich. Ich kam mir sowas von „up“ vor und schritt mit wichtiger Mine am ersten Waggon entlang (das war noch nicht meiner!), gespannt auf den Luxus und Pomp, der mir in der 1. Klasse geboten werden würde. Allerdings wunderte ich mich, dass an allen Türen Zettel mit dem Hinweis „Türstörung“ hingen. Gut, dann eben weiter hinten einsteigen. Ich lief weiter bis ich feststellte, dass sich leider gar keine einzige Tür zu den 1.-Klasse-Waggons öffnen ließ. Schade eigentlich! So standen etwa 20 Stuttgarter 1.-Klasse-Passagiere – einschließlich mir – vor dem Zug bzw. im Zug zwischen zweiter und erster Klasse und wollten hinein gelassen werden. Die Informationen zur Situation, die man uns gab, bewegten sich zwischen Schweigen und „wir versuchen zu reparieren“ – gerüchteweise. Wir warteten also wie Wochenendticket-Inhaber halb auf unserem Gepäck hockend im Gang auf Erlösung und sahen dabei gar nicht wie 1.-Klasse-Patienten (äh, Passagiere!) aus. Lautstark jammerten wir uns gegenseitig vor, dass das Ganze ja mal wieder typisch und unmöglich und die Informationspolitik der Bahn ja sowieso unter aller Sau sei, aber man sei ja auch gar nichts anderes gewohnt. Da fährt man einmal in 10 Jahren Bahn und dann sowas, und zwar passiert das IMMER, und man sollte doch besser das Auto nehmen und die Luft verpesten und das Klima braucht eh keiner, so eine Dreck!
So schwollen unsere 35 verspäteten Minuten nach genervter Warterei, begleitet von leidenschaftlichen Schimpftiraden und einer erneuten SMS nach München, auf 50 Verspätungsminuten an. An dieser Stelle nun entschieden die Verantwortlichen, dass sich die Türen der beiden Waggons wohl nicht mehr öffnen ließen und erlösten uns. Alle Fahrgäste sollten aussteigen: „Der Zug endet hier!“ Das hätten wir auch früher haben können.
Netterweise stand der nächste Zug in Richtung München bereits am übernächsten Gleis zur Abfahrt bereit, mit rekordverdächtigen popeligen 5 Minuten Verspätung. Der ganze (Um-)Zug war verständlicherweise völlig genervt und fragte sich, wie bitteschön alle Passagiere in dieses andere Transportvehikel passen sollen, das ja sicher auch nicht als unbemannte Raumsonde unterwegs war. Mit meinem 1.-Klasse-Vorteil konnte ich aber immerhin gleich vorne einsteigen und einen nicht reservierten Sitzplatz ergattern. Dieser befand sich zwar nicht im Großraumwagen, sondern in einem völlig überheizten Abteil (irgendwann habe ich mich getraut, den Mitreisenden, denen die Schweißperlen auch schon auf der Stirn standen, das Öffnen der Schiebetür vorzuschlagen), aber die Sitze und Armlehnen war schön komfortabel breit und man hatte doch irgendwie mehr Platz als sonst. Weitere Vorteile der 1. Klasse erschlossen sich mir allerdings nicht.
Die 5 Minuten Verspätung des neuen Zuges (ja, er fuhr dann überraschenderweise tatsächlich irgendwann los) wuchsen sich während der Fahrt zu insgesamt 10 Minuten aus und ich kam letztendlich mit 1 Stunde und 10 Minuten Verspätung in München an, ziemlich genau 35 Minuten vor Beginn der Theatervorstellung. Diese erreichten wir dann gerade noch rechtzeitig.
Die Glückshormone des „Gerade-noch-geschafft“ (gerade im Kontrast mit dem vorausgegangenen Dauer-Adrenalin-Stress-Pegel) gepaart mit der Wiedersehensfreude und der anschließenden Theaterunterhaltung (MIT Nacktszene!) ließen dann den Abend noch rundum gelungen werden. So gesehen gibt es doch eigentlich nichts Schöneres, als nach einer Verspätung doch noch rechtzeitig anzukommen.
Danke DB! Mein Leben wäre ohne Dich frei von Nervenkitzel und Glücksgefühlen!
Und jetzt bin ich wahnsinnig gespannt darauf, wie das mit der „Entschädigung“ funktioniert. Nachdem ich das Online-Beschwerde-Formular der Bahn ausgefüllt und sogar einen Weg gefunden habe, es auszudrucken (Danke, Jörg!), werde ich jetzt mal testen, ob ich tatsächlich ein paar Euronen für die Unannehmlichkeiten erstattet bekomme, oder ob Türstörungen unter höhere Gewalt wie Tsunamis und Vulkanausbrüche fallen.
Das ist typisch. Und ich dachte ja, nur die ÖBB (österreichische Bundesbahnen) sei derart zuverlässig … 🙂
Aber Flugzeuge haben auch mal Verspätung, sind der AUA Maschine letzten Sonntag doch glatt die Propeller zugefroren … tja, und die mussten dann auch über eine Stunde enteist werden…. 🙂
wortdealer in Schreiberlaune.
Köstlich.
Die Bahn macht mobil!
tjaja, so eine luxus-lounge hätte ich mir am wiener westbahnhof auch gewünscht, als wir am sonntag vor weihnachten 1 1/4 stunden bei -12° (wo bleibt die erwärmung mal, wenn man sie braucht???) und eisigem sturmgewinde auf unseren zug in richtung münchen warteten… vielleicht liegts nur an den zügen richtung münchen? eine verschwörung, die menschheit von der bayernmetropole fernzuhalten?? nächstes mal fahren wir über nürnberg, ich bin gespannt…